Ein Vater erstattete im Februar 1955 Anzeige, Vertreter des Alumnats-Vereins reisten nach Moers, um mit dem Heimleiter zu sprechen. Es folgte die sofortige Entlassung noch am selben Tag sowie die Einsetzung eines neuen Heimleiters, der am darauffolgenden Tag die Leitung des Martinstifts übernahm. Der beschuldigte Heimleiter wurde 1956 zu mehreren Jahren Zuchthausstrafe verurteilt, der damals schärfst möglichen Bestrafung. Das Urteil wurde vom Bundesgerichtshof bestätigt. Zwischen 1953 und 1955 scheint es kein Kuratorium vor Ort gegeben zu haben, das die direkt Aufsicht über die Leitung hätte wahrnehmen können. 1956 wurde die Bildung eines Ortskuratoriums vorgenommen.
„So etwas darf sich nicht wiederholen. Wir müssen für den bestmöglichen Schutz sorgen. Es darf kein Schweigen zur Gewalt geben und unsere höchste Aufmerksamkeit muss den Betroffenen gelten. Die Landeskirche hat deswegen ein Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verabschiedet, das alle Kirchenkreise und Gemeinden dazu verpflichtet, Schutzkonzepte zu erstellen, Risiken zu analysieren und zu mindern. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende werden mit Schulungen präventiv sensibilisiert, um sie zur Gefahrenabwehr zu befähigen. Es werden dabei auch klare Handlungsanweisungen gegeben, was im Falle einer Beobachtung, eines Verdachts oder einer Meldung von sexualisierter Gewalt getan werden muss. Dazu gehört auch, dass Vertrauenspersonen benannt werden, die angesprochen werden können und weiterhelfen können. Wir wollen der Kreissynode, dem Parlament des Kirchenkreises Moers, im Juni das ausgearbeitete Schutzkonzept für unseren Kirchenkreis vorstellen, an dem sich dann auch alle Kirchengemeinden orientieren werden.“
Was die Übergriffe im Martinstift von 1953 – 1955 betrifft, hatte einer der damaligen Schüler Mitschüler gesucht, die die Vorgänge bezeugen können, unter anderem beim unabhängigen Dokumentationszentrum der Ev. Kirche in Deutschland. „Wir unterstützen die Initiative Betroffene zu ermutigen, sich bei der unabhängigen Komission der evangelischen Kirche zu melden“, sagt Superintendent Wolfram Syben. „Wir hoffen, das wir in den nächsten Wochen mit den bekannten Betroffenen ein gemeinsames Gespräch führen können, an dem auch Kirchenrat Jürgen Sohn von der Evangelischen Kirche im Rheinland und die Moerser Pfarrerin, Christiane Münker-Lütkehans, teilnehmen werden.“ Sohn ist in der Evangelischen Kirche im Rheinland zuständig für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung.
Weitere Informationen
- Die Ev. Kirche im Rheinland (EKiR) hat im Jahr 2003 ein klares Verfahren beim Verdacht auf Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung erstellt. Für Opfer sexualisierter Gewalt steht die Ansprechstelle der EKiR zur Verfügung (https://www2.ekir.de/themen/ueber-uns/ansprechstelle-fuer-betroffene-von-sexualisierter-gewalt/). Sie bietet einen vertraulichen Kontakt an. Auch wer von sexualisierter Gewalt erfahren hat, kann sich dort melden. Ansprechpartnerin für Betroffene: Claudia Paul, Evangelische Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung, Graf-Recke-Straße 209a, 40237 Düsseldorf, Telefon: 0211 3610-312 oder -300, E-Mail claudia.paul@ekir.de.
- Erlittenes Leid und Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht werden. Es kann aber gesehen und anerkannt werden. Menschen, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen in NRW erlebt haben, erhalten jetzt individuelle Zahlungen. Eine Unabhängige Kommission (UK) bearbeitet die Anträge. Das Gremium der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Lippischen Landeskirche und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) besteht aus sechs Mitgliedern, die über traumatherapeutische, psychologische, theologisch-seelsorgliche, pädagogische und juristische Qualifikationen verfügen. Die Geschäftsstelle der Unabhängigen Kommission (UK) ist die Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS): https://www.fuvss.de.
- Die Ev. Kirche in Deutschland (EKD) arbeitet derzeit an einer Studie über Missbrauchsfälle in der Evangelischen Kirche Deutschland. Betroffene wirken an der Studie mit (Mitwirkung im Betroffenenbeirat der EKD).