„Wir können den Kollekteneinbruch nur zum Teil ausgleichen"

Rund 3,5 Millionen Euro sind im Jahr 2020 in der Evangelischen Kirche im Rheinland an landeskirchlichen Kollekten eingegangen – und damit circa zwei Millionen Euro weniger als in den Vorjahren. Ein deutlicher Rückgang, der vor allem auf ausgefallene Präsenzgottesdienste sowie Veranstaltungen zurückgeht – und der vielen Hilfsprojekten und Einrichtungen Probleme bereitet. Im Interview berichtet Pfarrer Ulrich T. Christenn, Leiter des Zentrums Drittmittel und Fundraising der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL), warum das vor allem kleinere Projekte trifft, was Kirchengemeinden dagegen tun können und welche Rolle die Online-Kollekte spielt.

Herr Christenn, das Kollektenaufkommen ist stark gesunken. Wie sehr beeinflusst das die Arbeit der Projekte und Einrichtungen, für die die Mittel gedacht sind?

Ulrich T. Christenn: Wir haben in der Vergangenheit immer Wert darauf gelegt, dass die Kollekten für zusätzliche Projekte und Aufgaben genutzt werden. Insofern könnte man meinen, dass weniger Geld das Tagesgeschäft dort nicht gefährdet. Aber es muss klar gesagt werden: An vielen Stellen tragen und unterstützen Kollektenmittel wertvolle Arbeiten im diakonischen und kirchlichen Bereich. Deshalb sind nun viele Projekte gefährdet. Ein Beispiel ist die Kollekte „Hilfe für bedürftige Familien“. Die hierbei geplanten Projekte können nun wahrscheinlich nicht umgesetzt werden. Dramatisch ist die Situation auch für Organisationen wie „Brot für die Welt“, die einen Großteil ihres bisherigen Spendenaufkommens über Kollekten aufgebracht haben.

Was bedeutet das konkret?

Christenn: Bei „Brot für die Welt“ wurden Kollektengelder an vielen Stellen genutzt, um staatliche Gelder ergänzend zu finanzieren. Ein Euro weniger an Kollekten heißt dann vielleicht vier oder fünf Euro weniger staatliche Gelder. Die große Frage ist deshalb: Schafft es „Brot für die Welt“, den Rückgang der Kollekten durch ein Plus bei den Privatspenden aufzufangen? Im Moment sieht das ganz gut aus. Wie es langfristig aussieht, kann noch nicht gesagt werden. Fakt ist aber auch: Bekannte Spendenmarken wie „Brot für die Welt“ oder die Kindernothilfe können ein Kollektenminus leichter durch Privatspenden auffangen. Schwieriger wird es für die kleinen Projekte, Maßnahmen und Einrichtungen, die bisher keine großen Spender- und Freundeskreise haben. Dort fehlt das Geld wirklich. Ein Hauptgrund sind die coronabedingt nicht stattfindenden Präsenzgottesdienste. Bricht zusätzlich der Weihnachtsbasar oder das Sommerfest weg, wird es da ganz düster. Und man darf ja auch nicht vergessen, was das für die Menschen bedeutet, denen mit diesen Mitteln geholfen werden soll.

Pfarrer Ulrich T. Christenn

Wie gehen denn kleinere Projekte mit der Situation um?

Christenn: Projektverantwortliche und Kirchengemeinden, die bisher schon rege und aktiv waren, beispielsweise Freundeskreise oder Fördervereine haben und Kontakte zu Menschen persönlich pflegen, schaffen es eher, Kollektenausfälle auszugleichen. Wer jedoch Kollekten und Spenden bisher als reine Formalität angesehen hat, merkt nun, dass dies in Krisenzeiten nicht ausreicht.

Welche Unterstützung bietet die Diakonie RWL an?

Christenn: Zu Beginn haben wir als Diakonie RWL einzelne Kollekten durch eigene Rücklagen aufgestockt. Da konnten wir in der Jugendhilfe und bei den Bahnhofsmissionen zum Beispiel die Ausfälle fast komplett kompensieren. Das war aber leider nur für einzelne Projekte machbar. Durch den langen Lockdown wird das noch schwieriger. Als Zentrum Drittmittel im Diakonischen Werk beraten wir generell Kirchengemeinden und Einrichtungen, wenn sie eine Maßnahme oder ein Projekt im sozial-diakonischen Bereich umsetzen möchten, jedoch keine Regelfinanzierung finden. Dann versuchen wir, andere Geldquellen aufzutun. Klar ist aber: Kollekten sind für uns ein wichtiges Standbein, das nun wegbricht und das wir nur zum Teil ausgleichen können.

Sinkt denn generell die Zahl der Spendenden?

Christenn: Da zeigt sich eine ambivalente Entwicklung: Das Spendenaufkommen in Deutschland ist zuletzt gestiegen, die Zahl der Spendenden geht hingegen leicht zurück. Wer spendet, gibt also mehr als früher. Es spenden vor allem über 60-Jährige, Beamte und Angestellte. All die Menschen, die von Corona wirtschaftlich nicht übermäßig betroffen waren und sind, aber nicht in ihr Lieblingsrestaurant gehen oder in den Urlaub fahren können. Sie sind bereit, zu sagen: „Mir geht es relativ gut, ich möchte, dass Anderen mit meinem Geld geholfen wird.“ Dabei spielt auch die christliche Nächstenliebe eine wichtige Rolle. Denn Statistiken zeigen ganz klar, dass vor allem Menschen, die eng mit der Kirche verbunden sind, überproportional viel spenden im Vergleich zu denjenigen, die nicht kirchlich verbunden sind.

Welche Tipps können Sie den Verantwortlichen geben, um mehr Spenden zu generieren?

Christenn: Grundsätzlich ist ein persönlicher Aufruf immer hilfreich beim Sammeln von Spenden und Kollekten. Wenn beispielsweise eine Presbyterin bei der Kollektenabkündigung begeistert von einem Projekt erzählt, merkt man das im Klingelbeutel. Wird nur formal auf das Projekt hingewiesen, geben Menschen weniger. Und das ist unabhängig davon, ob wir eine digitale Spende, eine Gottesdienstkollekte oder einen Spendenbrief haben. Zu bedenken sind auch die Gottesdienstformate. Wir Christinnen und Christen haben gelernt, im Sonntagsgottesdienst unseren Glauben zu leben, zu singen, zu beten und eben Geld abzugeben. Wir haben aber nicht gelernt, wenn wir vor dem Videogottesdienst sitzen, das Handy zu zücken und online bewusst Geld zu spenden. Wird dann nicht unmittelbar dazu aufgerufen, fehlt der Handlungsimpuls. Da würde ich mich freuen, wenn die Kirchengemeinden verstehen, dass Kollekten essenziell zum Gottesdienst dazu gehören und dies auch im digitalen Bereich gelebt werden sollte. Das ist verbal oder beispielsweise per direktem Link zum Kollekten- bzw. Spendenportal möglich.

Wird die Online-Kollekte künftig noch stärker in den Fokus rücken?

Christenn: Die Digitalisierung wird sicherlich auch im Spendenwesen zunehmen. Es werden mehr Menschen online spenden. Da muss Kirche mitmachen. Aber hinter der Kollekte steckt immer auch Gemeinschaft und Dankbarkeit. Das Faszinierende dabei ist: Auch wenn ich nur ein oder zwei Euro in den Korb lege, trage ich dazu bei, dass am Ende eine große Menge zusammenkommt. Diesen Gemeinschaftsgedanken, zusammen für eine Sache einzustehen, gilt es ins Digitale zu übertragen. Wie das möglich ist, damit beschäftigen wir uns intensiv. Ich bin auch gespannt, wie die Präsenzgottesdienste nach Corona aussehen werden, wie viel Leben ihnen wieder eingehaucht wird. Das wird nach der Corona-Pandemie eine neue Herausforderung, die wir gemeinsam angehen müssen.

Online-Kollekte: www.ekir.de/klingelbeutel

  • 20.4.2021
  • Andreas Attinger
  • Ann-Kristin Herbst/Diakonie RWL