Spirituelle Inseln zwischen Kirchenwänden

Passionszeit, Fastenzeit, Coronazeit. Steht die Kargheit im Vordergrund, der Verzicht – oder die Konzentration? Auf jeden Fall ist es eine Zeit der neuen Perspektiven. Die bieten sich auch beim Besuch der evangelischen Kirche auf dem Gelände der Bergischen Diakonie in Wülfrath-Oberdüssel (Kreis Mettmann). Mit dem Beginn der Passionszeit ist dort seit dem vergangenen Sonntag die zweite Version der Installation „Reif für die Insel?“ zu erleben. Ein künstlerisches Angebot, um die Kirche auch während des pandemiebedingten Gottesdienstverzichts als spirituellen Erlebnisraum zu bewahren.

Bewohnerinnen und Bewohner des Sozialtherapeutischen Wohnheims Poststraße in Velbert haben zusammen mit dem Offenen Atelier die Insel „All deine Farben“ gestaltet.

Schon bei der ersten Eröffnung am 1. November vergangenen Jahres war es darum gegangen, Bewohnerinnen und Bewohnern sowie den Mitarbeitenden und Gästen der Bergischen Diakonie sonntags Inseln des Innehaltens und der (Selbst-)Reflektion zu bieten. Denn Gottesdienste gibt es auf dem Gelände mit Rücksicht auf die besondere Infektionsgefahr für die Hochrisikogruppen in der Altenhilfe schon seit dem vergangenen Frühjahr nicht mehr. Stattdessen hatte das kunsttherapeutisch ausgerichtete Offene Atelier für Menschen mit und ohne psychische Beeinträchtigungen gemeinsam mit ihm verbundenen Kunstschaffenden in dem Kirchenraum insgesamt acht Inseln kreativ gestaltet.

Manche Ideen der ersten Installation übernommen

Einige übergreifende Ideen der damaligen Inselgestaltungen sind auch für die zweite Ausgabe übernommen worden: Weiterhin dient der Altar als Gedanken- und Schreib-Tisch, beispielsweise für Fürbitten; weiterhin lädt eine der Inseln ein, Kerzen anzuzünden; weiterhin ermöglicht eine „Spiegel-Insel“ der Betrachterin oder dem Betrachter die Erkenntnis: „Ich bin wunderbar gemacht.“ Aber drei Künstlerinnen sowie Bewohnerinnen und Bewohner des Sozialtherapeutischen Wohnheims Poststraße in Velbert haben auch vier neue Inseln gestaltet, die auf sehr unterschiedliche Weise die vorösterliche Kargheit aufgreifen.

Bei der Insel „Sehen“ von Christine Egel geht es um die Frage der Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Wie wir uns bewerten und gegenseitig in Schubladen stecken

So befasst sich Christine Egel, Pfarrerin in Aprath und Mitglied im „Freundeskreis Ateliers der Bergischen Diakonie“, auf ihrer Insel unter dem Titel „Sehen“ mit Fragen des Bewertens und Betrachtens der eigenen Person. Wie werden wir wahrgenommen, in welche Schubladen gesteckt, mit welchen Worten beschrieben? Und welchen Schönheitsidealen setzen wir uns aus? „Die Besucherinnen und Besucher werden auch von vielen Brillen und Glotzaugen angeschaut“, beschreibt Sunci Matijanic, die das Offene Atelier zusammen mit Manuel Rohde leitet, die Wirkung. Im Kontrast dazu die biblische Versicherung: „Gott aber sieht das Herz an.“

Die Insel „Die Afrikaner“ von Elke Voß-Klingler rückt das Thema „Flucht“ in den Blickpunkt.

Dicht gedrängte Flüchtende und die Frage gerechter Verteilung

„Beklemmend“, so Rohde, fällt die Gestaltung der Insel „Die Afrikaner“ von Elke Voß-Klingler aus. Vor 25 Jahren war sie Gründerin des Offenen Ateliers. Das Jubiläum soll, so Corona es zulässt, in diesem Jahr noch gefeiert werden. Kein Grund zum Feiern aber ist für die Künstlerin der Umgang mit den weltweiten Fluchtbewegungen. Voß-Klingler, selbst in der Flüchtlingshilfe engagiert, zeigt auf ihrer Insel dicht zusammengedrängte Menschen und wirft damit auch die Frage nach einer gerechten Verteilung der Güter auf.

Die Insel „achtsam – wachsam“ wurde von Ingeborg Colsman gestaltet.

Von der Inhaltslosigkeit zu den aufblitzenden Wundern der Wüste

Als Zeit der Reduktion begreift Ingeborg Colsman, seit den frühen Anfängen dem Offenen Atelier verbunden, die Fastenzeit. Ihre Insel „achtsam – wachsam“ will Begriffe wie Boden- und Inhaltslosigkeit mit Naturmaterialien, Steinskulpturen und Bildern fassbar machen. Und dann ist da noch die Insel des Velberter Wohnheims, gestaltet von den Bewohnerinnen und Bewohnern in Zusammenarbeit mit Sunci Matijanic und Manuel Rohde. Ein karger Baum, umsäumt von Steinen als Symbolen der Dürre und Wüste. „Aber wenn man sich darauf einlässt, dann sind auch dort viele Wunder zu erkennen“, sagt Rohde. Am Baum baumeln sie in Gestalt zahlreicher bunter Plexiglasscheiben, die blitzen und blinken – und dem Werk seinen Namen geben: „All deine Farben“.

Das kreative Potenzial wird sichtbar gemacht

Als Ausstellung versteht sich das Projekt „Reif für die Insel?“ nicht, sondern als spirituelles Angebot im ansonsten ungenutzten Kirchenraum. Aber gleichwohl ist es eine Möglichkeit, das kreative Potenzial sichtbar zu machen, das auf dem Gelände der Bergischen Diakonie vorhanden ist. Denn Ausstellungen sind ansonsten wie die Gottesdienste aus Infektionsschutzgründen nicht möglich. Die Installation aber wird mindestens bis Ostern sonntags jeweils für eine Stunde zu sehen sein – und auf dem Weg dahin womöglich auch noch einmal ihre Gestalt verändern. Wie es dann weitergeht, hängt wie überall von der Pandemieentwicklung ab. Gut möglich, dass man auch nach Ostern weiter reif für die Insel ist.

 

Weitere Informationen über die Bergische Diakonie gibt es hier.

Info: Öffnungszeiten der Aprather Kirche

Die Kirche der Bergischen Diakonie findet sich am Otto-Ohl-Weg 10 in Wülfrath-Oberdüssel. Die Installation „Reif für die Insel?“ steht sonntags von 11 bis 12 Uhr für Besuche offen. Eine Pastorin oder ein Pastor ist anwesend und gerne zum Gespräch bereit. Auf die Einhaltung der jeweils aktuellen Hygienebestimmungen wird selbstverständlich geachtet. Sonderöffnungszeiten, beispielsweise für kleinere Bewohnergruppen, können bei Bedarf und Interesse vereinbart werden.

  • 23.2.2021
  • Ekkehard Rüger
  • Florian Bach