Rettungsinseln im Kirchenschiff

Wer wäre in Coronazeiten nicht phasenweise auch reif für die Insel? Innehalten, neue Eindrücke sammeln, auf andere Gedanken kommen. Gleich acht dieser rettenden Inseln sind gar nicht so schwer zu erreichen. Man findet sie im Kreis Mettmann östlich der Stadt Wülfrath in der Ortschaft Oberdüssel. Umhüllt sind sie von der evangelischen Kirche der Bergischen Diakonie Aprath. Aber jeden Sonntagvormittag steht deren Tür für zwei Stunden offen – und Besucherinnen und Besucher können sich auf eine Insel ihrer Wahl flüchten.

Eigentlich war die Kirche auf dem zentralen Diakoniegelände seit dem Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr ungenutzt. Als zwischenzeitlich Lockerungen möglich waren, wurde zwar überlegt, dort wieder Gottesdienste für Bewohnerinnen, Bewohner und Gäste zu feiern. „Aber dann haben wir entschieden, das können wir nicht machen, weil hier gerade in der Altenhilfe viele Hochrisikogruppen leben“, erzählt Renate Zanjani, Sprecherin der Bergischen Diakonie. Schließlich sei es der Küster gewesen, der den ersten Anstoß gab, die Kirche trotzdem nicht geschlossen zu halten.

Die Kirche der Bergischen Diakonie Aprath vor der Installation „Reif für die Insel?“.

Offenes Atelier an der Gestaltung beteiligt

Ende September traf man sich in der Kirche, um nach Alternativen zu suchen: Leitung, Seelsorgeteam, Küster – und die Mitarbeitenden des Offenen Ateliers, eines kunsttherapeutischen Angebots, bei dem Menschen mit und ohne psychische Beeinträchtigungen kreativ arbeiten können; 2019, noch vor Corona, gab es 104 externe und 55 interne Kunstschaffende, die das Angebot nutzten. Die Brainstorming-Gruppe einigte sich bald auf die Leitfrage, die Corona-Erschöpfung und Sicherheitsbedürfnis verbindet und ausschlaggebend für die Umgestaltung der Kirche sein sollte: „Reif für die Insel?“

Kirche Bergische Diakonie Aprath "Reif für die Insel"
Der Altar wurde in die Mitte des Kirchraums gerückt – als Gedanken- und Schreib-Tisch. Im Hintergrund ist die „Insel der Sehnsucht“ von Dagmar Kern zu sehen.

Unterschiedliche Blickwinkel auf Inseldasein im Zeichen der Pandemie

Inseln gewähren Abstand voneinander. Inseln stehen gleichermaßen für Isolation wie für Selbstbesinnung. In der Kirche der Bergischen Diakonie sind innerhalb nur eines Monats acht unterschiedliche Blickwinkel auf das Inseldasein im Zeichen der Pandemie entstanden. Ein altes Zifferblatt, bis zur Sanierung der Kirche vor zwei Jahren noch Bestandteil der Turmuhr, hat „Zeit zu verschenken“. Eine andere Insel lädt dazu ein, Kerzen anzuzünden, auf einer weiteren mit einem großen Spiegel erhält die Betrachterin oder der Betrachter die Bestätigung: „Ich bin wunderbar gemacht.“ Und die Silhouetten zweier Diakonissen bieten einen Einblick in die Geschichte der Kirche. Noch bis 1998 gehörten aktive Diakonissen auch zum Erscheinungsbild der Bergischen Diakonie.

Die „Heile-Welt-Insel“ wurde von Claudia Menella gestaltet.

Eine heile Welt mit künstlerisch-kreativen Mitteln

Der Altar ist mitten in den Kirchenraum gerückt und dient Besucherinnen und Besuchern dort, womöglich auch inspiriert von einem abgedruckten Psalm, als Gedanken- und Schreib-Tisch. Besonders augenfällig aber sind die Inseln der drei Künstlerinnen des Offenen Ateliers. Für Claudia Menella beispielsweise, so erzählt es Atelier-Leiterin Sunci Matijanic, ist die heile Welt schon immer ein Schwerpunktthema gewesen, „eine heile Welt, die sie sich mit künstlerisch-kreativen Mittel schafft“. Also hat Menella auch für die Kirche eine „Heile-Welt-Insel“ konzipiert – mit Regenbogen, Hase, Bärchen und einem Engel. Und mit dem Geschmack und Geruch von Süßigkeiten: Auf einer Schale liegen ausgebreitet Schokobons bereit.

Für ihre „Insel der Phantasie“ hat Barbara Weyer Fundstücke aus Stein und Holz verwendet.

Das leer geräumte Altarpodest ist das Festland

Barbara Weyer wiederum hat mit Fundstücken aus Stein und Holz eine „Insel der Phantasie“ entstehen lassen. Dagmar Kern schließlich stellt in den Mittelpunkt ihrer „Insel der Sehnsucht“ einen Baum, dessen verteilte Blätter zum Mitnehmen auffordern. Und wo es so viele Inseln gibt, muss irgendwo auch das Festland liegen. Es ist das jetzt leer geräumte Altarpodest. Von dort öffnet sich der Blick auf ein Kirchenschiff voller Corona-Rettungsinseln, die nicht nur Orte des Innehaltens symbolisieren, sondern auch Geschichten erzählen der Menschen, die hier leben und arbeiten.

Das Zifferblatt hat bis zur Sanierung der Kirche zur Turmuhr gehört.

Extra-Insel des Gedenkens am Ewigkeitssonntag

Mit der Eröffnung am 1. November wurde in der Aprather Kirche auch der letzte Monat des Kirchenjahres eingeläutet, der von vielen Gedenktagen geprägt ist. Normalerweise wird hier am Ewigkeitssonntag immer ein Gottesdienst gefeiert für die Angehörigen verstorbener Bewohnerinnen und Bewohner. Das ist in diesem Jahr nicht möglich. Stattdessen wird es an diesem Tag eine Extra-Insel geben. Die Angehörigen können, wenn sie mögen, auf einer Karte den Namen des oder der Verstorbenen, eine Fürbitte oder ein Gebet mitbringen, vielleicht auch eine Kerze oder Blumen. So soll in Anwesenheit des Superintendenten Jürgen Buchholz und des Aprather Seelsorgeteams auch in diesem Jahr des Abstands ein Abschied jenseits privater Einsamkeit möglich sein.


Weitere Informationen über die Bergische Diakonie Aprath gibt es hier.

Info: Öffnungszeiten der Aprather Kirche

Die Kirche der Bergischen Diakonie Aprath findet sich am Otto-Ohl-Weg 10 in Wülfrath-Oberdüssel. Die Installation „Reif für die Insel?“ steht sonntags von 10 bis 11 Uhr den Bewohnerinnen, Bewohnern und Mitarbeitenden der Diakonie offen und kann von 11 bis 12 Uhr von externen Gästen besucht werden.

  • 12.11.2020
  • Ekkehard Rüger
  • Renate Zanjani