Ehrenamtliche Seelsorge auf professioneller Basis

„Seelsorge durch Ehrenamtliche stellt eine zentrale Säule dessen dar, was eine seelsorgliche Kirche ausmacht.“ So steht es im Geleitwort der „Handreichung für die Seelsorge-Ausbildung ehrenamtlich Mitarbeitender“ von 2014. Schon die Jahreszahl macht deutlich: Das Bewusstsein für die Bedeutung des Ehrenamts in der ganzen Breite der Seelsorge hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt – und damit auch für eine umfassende Vorbereitung und Ausbildung.

Der Kirchenkreis Düsseldorf gehört dabei zu den Vorreitern. Denn von klassischen Bereichen wie der Telefonseelsorge, die schon lange auf Ehrenamtliche baut, hat sich deren Einsatz mittlerweile auf beinahe alle Seelsorgefelder ausgeweitet. In Düsseldorf werden ihnen schon seit 2011 jährliche Kursangebote durch die kreiskirchliche Pfarrstelle für Seelsorgefortbildung gemacht. Andere Kirchenkreise folgten mit ähnlichen Angeboten – so auch ab 2017 der Kirchenkreis Leverkusen.

Aktueller Kurs in Düsseldorf so groß wie noch nie

„Wir waren zunächst die Einzigen, die eine solche Stelle hatten“, blickt Heike Schneidereit-Mauth, Leiterin der Abteilung Seelsorge im Kirchenkreis Düsseldorf, zurück. Das Konzept prägte in der Folge auch die landeskirchlichen Richtlinien zur Ausbildung Ehrenamtlicher. Über mehrere Module können sich die Teilnehmenden in der Landeshauptstadt innerhalb eines Jahres für die Einsatzorte Gemeinde, Krankenhaus, Altenheim und (ein Düsseldorfer Sonderfall) Flughafen qualifizieren. Der im April gestartete Kurs ist mit 24 Plätzen so groß wie noch nie. Dazu kommen noch jeweils zwölf Ehrenamtliche in den Fortbildungskursen der Notfall- und der Telefonseelsorge sowie im Hospiz und drei weitere in der Trauerbegleitung. Macht allein in diesem Jahr zusammen gut 60 Menschen, die sich auf ihren Ehrenamtseinsatz in der Seelsorge vorbereiten.

Nicht jeder, der sich bewirbt, wird genommen

„Die Ausbildung lädt auch Leute ein, die gar nicht in der Gemeinde verankert sind“, ist die Erfahrung von Peter Krogull, Pfarrer für Seelsorgefortbildung und -entwicklung im Kirchenkreis. „Sie ist damit auch ein Einfallstor für einen kirchlichen Neuanfang.“ Aber ob gemeindlich verankert oder nicht: Alle müssen zunächst das Vormodul „Motivation“ durchlaufen, das ergründet, was die einzelnen Interessenten antreibt. „Nicht jeder, der sich bewirbt, kann die Ausbildung auch machen“, sagt Schneidereit-Mauth. Das erhöhe andererseits auch die Wertigkeit der Kurse.

Notfallseelsorge in Leverkusen fast ausschließlich ehrenamtlich

Die neue Hauptwache der Leverkusener Berufsfeuerwehr an der Edith-Weyde-Straße ist erst im Sommer bezogen worden. In der zweiten Etage hat Hauptbrandmeister Michael Wingender sein Büro. Der 52-Jährige ist Leiter und Koordinator der Notfallseelsorge für die Stadtgebiete von Leverkusen, Leichlingen und Burscheid. Und wenn einer der jährlich etwa 50 bis 60 Einsätze ansteht, zählt er inzwischen fast ausschließlich auf Ehrenamtliche.

Mit Pfarrerinnen und Pfarrern ließen sich die Schichten nicht mehr besetzen

An der Entwicklung im Kirchenkreis Leverkusen lässt sich gut ablesen, wie die Bedeutung des Ehrenamts in der Seelsorge wächst. Es ist noch nicht lange her, da wurde die Notfallseelsorge vor allem von hauptamtlichen Pfarrerinnen und Pfarrern geleistet. Aber trotz ökumenischer Aufstellung gestaltete sich die Besetzung der Schichten immer schwieriger. 2017 startete im Kirchenkreis der erste Kurs zur Seelsorgeausbildung für Ehren- und Hauptamtliche. Inzwischen hat Seelsorgereferentin Andrea Gorres rund 60 Teilnehmende durch die Kurse begleitet und für die Bereiche Krankenhaus-, Alten- und Notfallseelsorge qualifiziert. Wingender, selbst Absolvent des jüngsten Kurses, kann mittlerweile auf ein Team von 15 Ehrenamtlichen bauen.

Motoren der Düsseldorfer Seelsorgefortbildung für Ehrenamtliche: Heike Schneidereit-Mauth und Peter Krogull.
Motoren der Düsseldorfer Seelsorgefortbildung für Ehrenamtliche: Heike Schneidereit-Mauth und Peter Krogull.

Vier Grundmodule für die Seelsorgeausbildung

Die Basis der Seelsorge-Kurse bilden Grundmodule zu den vier Bereichen Kommunikation, geistliche, personale und ethische Kompetenz. Personale Kompetenz meint dabei den Blick auf die eigene Person. „Nur wenn ich mich selbst gut kenne, kann ich auch gut auf den anderen blicken und zwischen Mein und Dein unterscheiden“, beschreibt Schneidereit-Mauth eine der wichtigsten Voraussetzungen für die seelsorgliche Arbeit: die Fähigkeit, eigene Erfahrungen und Wege nicht auf andere übertragen zu wollen. Der Einsatz in einer Trauergruppe komme beispielsweise zu früh, „wenn wir merken, dass der eigene Trauerprozess noch nicht abgeschlossen ist“, sagt Krogull.

Pop-up-Seelsorge als Antwort auf Corona-Beschränkungen

Weil Corona vielen Praxiserfahrungen einen Riegel vorschob, ließ der Pfarrer sich im Sommer die Pop-up-Seelsorge einfallen. Parallel zur Öffnung des Stadtteilladens der Diakonie im Düsseldorf-Flingern wurde ein Tisch mit Plexiglasscheibe auf dem Platz der Diakonie aufgebaut – ein niederschwelliges Gesprächsangebot, das auf überraschenden Zuspruch traf und im kommenden Jahr ausgeweitet werden soll. Die Gesprächspartnerinnen und -partner an jeweils zwei Stunden von montags bis freitags waren fast ausschließlich Ehrenamtliche.

Feldkompetenz im Krankenhaus, im Altenheim und am Flughafen

Anfang kommenden Jahres geht es für die Kursteilnehmenden um die Feldkompetenz im Krankenhaus, im Altenheim und am Flughafen, ehe ein Kolloquium den Kurs beendet. Der Bedarf an Absolventinnen und Absolventen, da ist man sich in Düsseldorf sicher, wird noch weiter wachsen: Im seelsorglichen Gemeindeaufbau sieht Krogull großes Zukunftspotenzial für die Ehrenamtlichen – und auf die hauptamtlichen Pfarrerinnen und Pfarrer die wichtige Aufgabe des Mentorings zukommen. Dass sie in Düsseldorf mit ihrem Konzept auf dem richtigen Weg sind, hat ihnen im Sommer nochmals eine Äußerung beim Besuch des rheinischen Präses bestätigt. „Wer Seelsorge erlebt“, hatte Manfred Rekowski gesagt, „fragt nicht mehr nach der Relevanz von Kirche.“

Weihnachten 2017 erstmals als Hospitantin im Einsatz

Eine der ehrenamtlichen Seelsorgerinnen in Leverkusen ist Katja Masala. Über die Hospizarbeit hat sie zur Notfallseelsorge gefunden, Weihnachten 2017 war sie erstmals als Hospitantin bei einem Einsatz dabei. Wenn die Feuerwehr Seelsorgekräfte wie sie ruft, geht es immer um einen dramatischen Tod, meist im häuslichen Umfeld. Oft waren die Angehörigen Zeugen einer vergeblichen Reanimation, es fließt Blut, nicht selten herrscht Chaos. Mitunter, wenn die Todesursache noch ungeklärt ist, wird aus dem Schlafzimmer auf einmal auch ein Tatort, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind. Routine für die Polizei, ein Alptraum für die Familie. „Wir haben auch mit Menschen zu tun, die schreien und toben“, sagt Masala.

„Dass jemand da ist, ist wichtig, nicht, dass ich da bin“

Aber eine solche Extremsituation mache sie nicht ohnmächtig und ihr auch keine Angst, versichert die 49-Jährige, „solange es die Welt von anderen ist und es mich nicht selbst betrifft“. Notfallseelsorge ist das völlige Eintauchen in das Hier und Jetzt – man kennt nicht die Vorgeschichte und erfährt meist nicht, wie es für die Betroffenen weitergeht. Masalas Erfahrung: „Man wird als Person gar nicht wahrgenommen. Dass jemand da ist, ist wichtig, nicht, dass ich da bin.“

In den Kursen ist Platz für Zweifel und Anfragen

In dieser Phase des Schocks und der emotionalen Aufwühlung, unter dem Eindruck des miterlebten Todes eines Angehörigen, beim Überbringen von Todesnachrichten nach Unfällen oder Suiziden, werden die Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger ganz oft nicht als die Fremden gesehen, die sie eigentlich sind. „Das ist ein ganz intensiver Moment“, sagt Wingender. Ihn hat sein neuer Arbeitsbereich zurück zur katholischen Kirche geführt. Auch Katja Masala, von Hause aus evangelisch, sagt, seit der Seelsorgeausbildung und ihrem Ehrenamtseinsatz „fremdeln Glaube, Kirche und ich nicht mehr“. Das habe gerade mit der sehr offenen Haltung zu tun, die Seelsorgereferentin Gorres verkörpere: In den Kursen ist Platz für Zweifel und Anfragen, „ich habe Raum gefunden für meinen Glauben“, erzählt Masala.

Austausch für die Ehrenamtlichen extrem wichtig

Einmal im Monat trifft sich das Notfallseelsorgeteam zur Nachbesprechung: Wie wurden die Einsätze erlebt, was hätte besser laufen können? Für die Ehrenamtlichen ein extrem wichtiger Austausch und eine Ermutigung, sich vielleicht doch häufiger für einen der Früh-, Spät- oder Nachtdienste einzutragen und nicht nur auf Gesamtalarmierungen zu reagieren, die immer dann ausgelöst werden, wenn niemand im Dienstplan steht. Denn viele Schilderungen der Ehrenamtlichen belegen: Die Anspannung des Wartens, ob, wann und wo etwas passiert, ist immer groß. Aber wenn es dann wirklich zum Einsatz kommt, verfliegen Angst und Unruhe meist schnell. Dann zählt nur noch der Augenblick – und die wertvolle Tatsache, dass man da ist.

Die Handreichung für die Seelsorge-Ausbildung

Die landeskirchlichen Richtlinien für die Ausbildung Ehrenamtlicher

Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung zweier Texte aus dem aktuellen Magazin für Presbyterinnen und Presbyter, EKiR.info. Das vollständige Heft findet sich hier zum Download.

  • 7.12.2020
  • Ekkehard Rüger
  • Ekkehard Rüger