Ungleiche Rollenverteilung: In der Krise kümmern sich die Mütter

Pünktlich zum Internationalen Weltfrauentag am 8. März nehmen Dr. Kathrin S. Kürzinger und Pfarrerin Esther Immer das Thema Gleichberechtigung unter die Lupe. Was hat die Corona-Pandemie aus der Emanzipation gemacht? Die beiden berufstätigen Mütter machen sich Sorgen.

Dr. Kathrin S. Kürzinger ist Studienleiterin in der Evangelischen Akademie im Rheinland. Foto: Jun Fukuda (Fotostudio Menke)

Die Erinnerungen an die Märzwoche 2020 sind in vielen Familien noch hellwach. Wegen der steigenden Coronazahlen müssten die Schulen erst mal schließen, verlautete es aus der Politik. Der Unterricht werde vorübergehend an heimische Schreib- und Küchentische verlegt. „In diesem Moment haben viele Paare erstmal auf Autopilot geschaltet“, sagt Dr. Kathrin S. Kürzinger von der Evangelischen Akademie im Rheinland. Und das bedeutete: In vielen Fällen bemühten sich die Mütter um eine Lösung. „Selbst Frauen, die bisher gleichberechtigt mit ihren Partnern Familienleben gestalteten, fanden sich im Autopilot wieder“, sagt die Studienleiterin im Themenbereich Transformation von Arbeit und Wirtschaft mit den Schwerpunkten Zukunft der Arbeit,  Digitalisierung, Vereinbarkeit Familie und Beruf sowie Nachhaltigkeit. Damals habe es gar keine Zeit dafür gegeben, zu reflektieren und zu diskutieren. „Es ging und es geht um Mangelverwaltung“, sagt Kathrin S. Kürzinger. Also reduzierten Frauen ihre Stunden, übernahmen das Homeschooling mit den Kindern, verlegten ihre eigene Arbeit in die Abendstunden. Kurz: Sie kümmerten sich.

Mental Load liegt überwiegend bei den Frauen

„Und genau an dieser Stelle begegnen wir einem gesellschaftlichen Problem“, sagt die zweifache Mutter. Krise hin oder her. Mädchen würden dazu erzogen, sich zu kümmern. Ihnen biete der Spielwarenhandel vor allem Kaufläden und bunte Küchenzeilen an, während die Jungen zum nächsten Abenteuer im Garten eingeladen werden. Die Kinder erleben, dass sich die Frauen kümmern. „Das ist keine böse Absicht, aber das leben wir ihnen auch vor“, sagt Kathrin S. Kürzinger. Also erstellen schließlich vor allem Mütter die ständigen To-Do-Listen, sie organisieren, planen und übernehmen die Verantwortung dafür, dass die Familie weiterläuft – auch in der Krise. „Für diese unsichtbare Belastung gibt es einen Begriff: Mental Load“, erklärt die Theologin. Es ist die Belastung, die Menschen durch das Organisieren von Alltagsaufgaben erfahren. Bei vielen Müttern sei das Gefühl mit dem Eindruck verbunden, die Dinge nicht auf die Reihe zu bekommen. „Aber Achtung“, sagt die Fachfrau, „dieses Gefühl ist kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches. Wir sind als Gesellschaft lange nicht so weit, wie wir oft gedacht haben.“

Konkrete Hilfen statt willkürliche Kindergeldboni

Und die Krise verschärft es: Absolut seit der Anteil der Care-Arbeiten von Männern in der Krise gestiegen, sagt die Fachfrau. Weil viele Väter ins Homeoffice wechselten, stieg ihr Einsatz im Familienalltag. „Von einem sehr geringen Ausgangs-Niveau“, sagt die Theologin und erinnert an die ungleiche Mehrbelastung für Frauen. Sie hoffe, dass Familien den Autopilot nach der Krise wieder abschalten können. „Das A und O ist ein persönliches Netzwerk“, sagt sie, „Nachbarschaftshilfen, Kirchengemeinden, befreundete Familien, mit denen man sich die Aufgaben teilt.“ Und: Selbstsorge nicht vergessen! Frauen sollten für persönliche Auszeiten sorgen. Vor allem aber müssten sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern, um Gleichberechtigung wirklich möglich zu machen: Sie denkt an Randbetreuungszeiten in Kindertagesstätten. Und sie denkt an die Chancen des Homeoffices – die aber erst dann ausgeschöpft werden könnten, wenn es nicht mehr nur örtliche, sondern auch zeitliche Flexibilisierung ermögliche. Und sie denkt an Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen statt an willkürliche Kindergeldboni. „Das würde wirklich helfen“, sagt Kürzinger. Sie selbst lebt indes übrigens ein anderes Modell: Sie arbeitet voll, ihr Mann Teilzeit. Sie fährt ins Büro, er bleibt bei den Töchtern. „Ich habe die Hoffnung, dass die nächste Generation schon einen ganz anderen Blick auf Gleichberechtigung hat“, sagt Kürzinger.

Unbewusst in die Lehrerinnen-Rolle reingerutscht

Pfarrerin Esther Immer ist Seelsorgerin am Evangelischen Christophoruswerk in Duisburg. Foto: Immer

Auch Pfarrerin Esther Immer erlebt die Pandemie als berufstätige Mutter – in Teilzeit. „In vielen Fällen haben einfach immer noch die Frauen die Rolle, zu Hause zuständig zu sein“, beobachtet die Seelsorgerin am Evangelischen Christophoruswerk in Duisburg, „und da kann ich mich selbst nicht ausschließen.“ Und obwohl sie mit ihrem Mann schon vor der Pandemie klare Vereinbarungen hatte, um die Arbeit mit Haushalt und Familie aufzuteilen, fand sie sich im Lockdown plötzlich in der Rolle der Lehrerin ihrer Kinder wieder. „Ich bin da reingerutscht, ohne dass wir das bewusst entschieden hätten“, erzählt die dreifache Mutter. Sie stellte fest: Das geht den meisten Müttern in ihrem Umfeld so. „Es gab Handlungsbedarf und wir haben gehandelt“, sagt sie. Während Männer sich im Homeoffice zurückzogen, hätten Frauen vielfach Homeoffice und Homeschooling parallel erledigt. „Das war sehr anstrengend. Predigten schrieb ich nachts, tagsüber lernte ich mit den Kindern“, erzählt die Pfarrerin, „und irgendwann habe ich mich gefragt: Was passiert da gerade? Was ist das los?“. Also setzte sie sich mit ihrem Mann zusammen und sie nahmen sich Zeit, entdeckten beide, dass sie diese Entwicklung nicht wollten. „Im zweiten Lockdown übernimmt mein Mann nun viel mehr Aufgaben im Homeschooling“, erzählt sie.

„Es ist und bleibt ein gesellschaftliches Problem“

Und gleichzeitig verweist auch Pfarrerin Esther Immer auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die erst zu diesen Schwierigkeiten bei der Verwirklichung von Gleichberechtigung führen würden: Dann zieren sich Arbeitgeber, Männern mit gutem Gefühl eine Elternzeit zuzugestehen. Dann werden Männer deutlich besser bezahlt als Frauen. „Und das wiederum führt dazu, dass Familien gar nicht darauf verzichten können, dass die Väter voll arbeiten“, sagt die Pfarrerin, „es ist und bleibt ein gesellschaftliches Problem.“ Und das werde es nach der Krise genauso wie vor der Pandemie geben. „Ich hoffe sehr, dass Corona uns nicht weiter zurückwirft“, sagt sie, „aber wenn wir uns nach der Krise in Familien als Team die Zeit nehmen, zu reflektieren, dann können wir vielleicht sogar noch profitieren.“

  • 7.3.2021
  • Theresa Demski
  • Red