Brücke zwischen der gehörlosen und der hörenden Welt

Monika Greier ist seit 25 Jahren Gehörlosenseelsorgerin im Kirchenkreis Moers

[Kirchenkreis Moers] 25 Jahre ist Monika Greier jetzt Gehörlosenseelsorgerin im Kirchenkreis Moers. Mehr als 250 Gehörlose und mehrere Tausend Schwerhörige leben hier. Die Pfarrerin steht ihnen und ihren hörenden Angehörigen seelsorglich und beratend zur Seite in persönlichen Krisen, bei Problemen im Beruf, in der Schule oder bei der Ausbildung. An jedem ersten Samstag im Monat reisen Gemeindemitglieder aus dem gesamten Kirchenkreis zu einem zentralen Gottesdienst in die Grafenstadt. Sie hat auch ein Auge darauf, dass die Induktionsschleifen in den Kirchen funktionieren, mit deren Hilfe Hörgeräte rauscharm gesteuert werden können.

Smartphones für die visuelle Kommunikation gab es nicht

Allerdings hat sich in diesem Vierteljahrhundert viel verändert. „Wenn ich an meine Anfänge zurückdenke, kommt es mir vor, als erzähle ich vom Mittelalter. Damals war Schreiben per E-Mail noch Neuland, es gab keine sozialen Medien, fast keine Gebärdensprachdolmetschenden und schon gar keine Smartphones, die auch für die visuelle Kommunikation oder Videokonferenzen genutzt werden konnten. Stattdessen Telefonzellen, die natürlich für Gehörlose witzlos waren und reale Treffen“, erinnert sich die Seelsorgerin. „Wenn ein Gehörloser zum Arzt ging, hielt er der Sprechstundenhilfe einen Zettel mit meiner Telefonnummer unter die Nase, damit sie mich kontaktierte.“ 1998 gab es kein Recht auf Dolmetschende beim Arzt, Jugendamt oder anderen Einrichtungen. „Die Gebärdensprache war als Sprache noch gar nicht anerkannt, existierte also offiziell gar nicht. Viele haben sich ihrer Gebärdensprache geschämt.“

Teil einer kulturellen und sprachlichen Minderheit

Kamen Gehörlose nicht in den Gottesdienst, dann erkundigte sich Monika Greier per Brief bei ihnen, ob sie Unterstützung brauchen oder sie besuchte sie. Inklusion stellte noch kein gesellschaftliches Konzept dar, Gehörlose in Regelschulen bildeten die Ausnahmen. „Zu den positiven Entwicklungen zählt, dass die Bildungschancen enorm zugenommen haben und damit das Selbstbewusstsein vieler Gehörloser gestiegen ist. Heute empfinden viele Taube ihre Gehörlosigkeit nicht als Behinderung. Sie sehen sich stattdessen als Teil einer kulturellen und sprachlichen Minderheit mit vielfältigen Aktivitäten,“ freut sich Monika Greier.
Allerdings ist vieles auch unverändert geblieben. „Menschen werden geboren und sterben, sie brauchen Begleitung und Halt. Gehörlose benötigen nach wie vor einen Ort für Treffen und Austausch, an dem es normal ist, zu gebärden und an dem niemand mit Unverständnis schaut. Ich sehe es als meine Aufgabe an, ihnen diesen Schutzraum zu bieten und sie zu begleiten, wenn sie es wollen und brauchen.“

Gebärdensprache entwickelt sich immer weiter

Dass Monika Greier zur Gehörlosenseelsorgerin wurde, war nicht vorgezeichnet. In Wuppertal geboren, dort und später in Remscheid aufgewachsen, hat sie in Bonn, Bochum, Heidelberg und auch Wuppertal studiert. „Ursprünglich war ich ‚normale‘ Pfarrerin, die als Hobby Gebärdensprache gelernt und angewendet hat. Dann ergab es sich, dass im Kirchenkreis An Sieg und Rhein, wo ich arbeitete, die Gehörlosenpfarrstelle wieder besetzt werden sollte und so bin ich Gehörlosenseelsorgerin geworden“, erinnert sie sich. Im Jahr 1998 kam sie nach Moers.
„Auch wenn ich relativ gut Gebärdensprache kann, komme ich doch an Grenzen und die Gehörlosen mit mir auch, denn ich bin nicht gehörlos. Die Gebärdensprache entwickelt sich immer weiter, neue Gebärden entstehen, genau wie es bei Hörenden immer neue Wörter gibt.“ Die neuen Gebärden werden über Instagram und andere soziale Medien in hoher Geschwindigkeit verbreitet. „All die Neuerungen kann ich nicht immer gut mitvollziehen, weil sich das Angebot so sehr vergrößert hat“, beschreibt die 60-Jährige aktuelle Anforderungen an Gehörlosenseelsorgende. „Das betrifft jedoch nicht meine Arbeit mit hörenden Angehörigen. Sie haben in ihrer besonderen Lebenssituation keinen Ansprechpartner. Ich bin wie eine Brücke zwischen der gehörlosen und der hörenden Welt. Das ist eine schöne Aufgabe.“

Traum

Auch wenn sich in den Jahrzehnten viel getan hat, bleibt das Leben in einer hörenden Welt für Gehörlose anstrengend. „Von voller Teilhabe sind wir noch weit entfernt, ein Theologiestudium ist für Taube derzeit kaum möglich angesichts der Voraussetzungen. Allein das Lernen von Althebräisch und Altgriechisch ist ja schon für hörende Studentinnen eine Herausforderung. Wieviel mehr müsste da eine gehörlose Person leisten. Aber inzwischen entwickelt die evangelische Kirche neue ,niederschwelligere Ausbildungen“, weiß Monika Greier.
In wenigen Jahren wechselt sie in den Ruhestand.  „Mein Traum ist, nicht erst als alte Frau einen Gehörlosengottesdienst besuchen zu können, in dem eine taube Pastorin für meine jetzigen Gemeindeglieder da sein wird.“

Weitere Information

  • Pfarrerin Monika Greier ist nicht nur im ev. Kirchenkreis Moers, sondern auch in den Kirchenkreisen Krefeld-Viersen und Kleve Gehörlosenseelsorgerin
    Mitinitiiert hat sie einen Chor, der in Gebärdensprache singt. Er formiert sich zurzeit für besondere Anlässe projektbezogen.
  • Im Jahr 2018 wurde sie für ihre Auseinandersetzung mit der Rolle der Kirche während des Nationalsozialsozialismus in ihrer Arbeit „Zwangssterilisation und das Verhalten der Gehörlosenseelsorge – Schritte zur Aufarbeitung“ mit dem Wilhelm Freiherr von Pechmann-Preis ausgezeichnet. Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge (DAFEG), deren Vorstandsmitglied Monika Greier damals war, hat als Folge ihrer Forschungen eine Erklärung verabschiedet, in der sie die Schuld der Kirche anerkennt und die Opfer um Verzeihung bittet.
  • In den vergangenen Jahren hat sie an einer Video-Kinderbibel für Gehörlose mitgewirkt, die auf YouTube zu sehen ist.
  • Weitere Infos unter www.kirche-moers.de/inhalt/gehoerlosenseelsorge
  • 16.3.2023
  • Pressereferat Kirchenkreis Moers
  • Red