Balkonsingen: In Troisdorf wird seit März täglich musiziert

Es ist schon etwas ganz Besonderes, das da in Troisdorf vor sich geht: Seit März folgt das Ehepaar Kieseier mit der Nachbarschaft jeden Abend dem Aufruf zum „Balkonsingen“. Dass seine Initiative zu Beginn der Pandemie eine solche Entwicklung nimmt, hätte Heinz Kieseier, Pfarrer in Ruhe, selbst nicht für möglich gehalten.

Angestachelt von den Fernsehbildern singender Menschen in Italien sowie dem Aufruf der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Balkonsingen, trommelte Heinz Kieseier am 18. März 2020 zum ersten Mal eine kleine Gruppe zusammen, um ein paar Lieder anzustimmen. „Anfangs waren wir zu acht, schnell war aber das Dutzend voll“, blickt der Troisdorfer zurück. Fortan trat und tritt er täglich gemeinsam mit seiner Frau vor die Türe, um „unseren Protest gegen Corona zu singen“.

Drei- bis 83-Jährige Sängerinnen und Sänger

Und so trifft sich mittlerweile allabendlich ein Chor mit zwölf bis 25 Sängerinnen und Sängern im Alter von drei bis 83 Jahren. „Ich selbst habe an keinem Abend wegen Krankheit, Unwohlsein oder einer wichtigeren Verpflichtung gefehlt. Und das in meinem Alter“, stellt der 83-Jährige mit Erstaunen fest. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Lockdowns sei es ihm aber wichtig, dass nicht zu viele zusammenkämen. „Ohnehin schaue ich stets darauf, dass Abstand gehalten wird. Und mit dem Ordnungsamt sind wir auch in Kontakt“, weiß er um die Verantwortung.


Hunderte Lieder an mehr als 300 Tagen angestimmt

Hunderte Lieder sind bereits an mehr als 300 Tagen in Oberlar, einem Stadtteil des nordrhein-westfälischen Troisdorfs, geträllert worden. Doch nicht einfach so. Denn darüber, was an den einzelnen Tagen gesungen wird, informiert Kieseier seinen „Stammchor“ regelmäßig in Rundbriefen. „Anfangs haben wir nur zwei, drei Lieder gesungen, aber es werden immer mehr gewünscht.“ Beliebt sei bei Jung und Alt gleichermaßen „Die Gedanken sind frei“. Regelmäßig gesungen werde auch „Der Mond ist aufgegangen“, mit dem im März  alles begonnen habe. Der Jahreszeit entsprechend werde so langsam natürlich auf Kölsche Lieder umgeschwenkt. „Da gibt es viele, die es in sich haben und auch im Gottesdienst gesungen werden könnten“, sagt der gebürtige Westfale. Mit seiner Frau lebe er schon lange im Rheinland und er sei längst ein Fan des kölschen Liedguts.

Singen als Medizin für die Seele

Ohnehin spielt Musik eine entscheidende Rolle für das Ehepaar. „Unser Leben war immer mit Singen verbunden. Wir waren stets in Chören und sind heute noch in der Seniorenkantorei Siegburg“, erklärt Heinz Kieseier, der zudem im Posaunenchor Trompete spielt. Singen sei wie Medizin für die Seele, die zudem die Stimme in Form halte. „Und meine Frau und ich empfinden die Minuten abends wie kleine Gottesdienste.“ Er danke Gott von Herzen, dass er noch immer singen könne. „Ich glaube, wenn ich nicht mehr singen kann, bin ich tot“, sagt er und lacht.

„Wir werden durchhalten, bis die Seuche besiegt ist“

Der Ruhestandspfarrer hätte es nie für möglich gehalten, dass seine Idee so eine Entwicklung nimmt. „Es ist eine schöne Sache und sicherlich einmalig, dass jeden Tag – mit Ausnahme von Karfreitag – gesungen wurde“, sagt er glücklich. Für ihn ist außerdem klar: „Wir werden durchhalten, bis die Seuche besiegt ist – und sicherlich auch nach Corona regelmäßig weiter gemeinsam singen.“

Aufruf: Schicken Sie uns Ihre Videos vom Balkonsingen

Sind auch Sie begeisterte Balkonsingerin oder begeisterter Balkonsinger? Dann schicken Sie uns gerne ein Video an pressestelle@ekir.de, das wir auf unseren Social Media-Kanälen veröffentlichen dürfen.

  • 14.1.2021
  • Andreas Attinger
  • Red